- Thekoa Weekly

Thekoa Weekly

 

18. Januar 2021

 

 

Anti-Habermas

Diesmal zum Eingang mit der Bitte um Nachsicht. Das Folgende wurde vorrangig zur eigenen Erleichterung geschrieben, obwohl es dem Anschein nach recht objektiv daherkommt, als Rezension. Es geht um Habermas’ 2019 erschienenes Buch Auch eine Geschichte der Philosophie. In dem 1800-Seiten-Opus klafft eine kaum entschuldbare Lücke.

Wenn ein Autor, der sich selbst mehrmals als „religiös unmusikalisch” bezeichnet, die Trennung von Glauben und Wissen in den Blick nimmt, erhebt sich fast von allein ein gewisser Anfangsverdacht auf Fehldeutungen. Er wird gleich vom ersten Band des Werkes bestätigt. Wohin der Autor sieht, er sieht – im gängigen Mittelalter-Klischee befangen – immer nur Finsternis: „ein geschlossenes Weltbild”, Beschränkung, Unterdrückung, ja Theokratie. Was er nicht sieht: die schier anarchische Buntheit des Mittelalters, die Kritik an der Korruption der entstehenden Kirche; es entgehen ihm aber auch die vorstaatlich polyzentrische Machtstreuung, die im Vergleich zu heute viel größere private Freiheit der Menschen und vor allem das hohe Niveau der politischen Publizistik des Hochmittelalters.

Diese Fehlurteile sind aber noch nicht das schlimmste Versäumnis. Der Autor sieht die Philosophie erst mit und durch Luther endlich befreit aus den angeblichen Fesseln des Mittelalters. Jetzt erst, nachdem die Religion in das Herz des Menschen verbannt wurde, konnte sich das Wissen aus eigenem Antrieb zu eigenen Zielen entwickeln. Der Höhepunkt dieser enthemmten Entwicklung ist heute sogar noch nicht erreicht. Und hier tut sich in dem Buch die unverständliche Leerstelle auf: In seiner Begeisterung für diese Befreiung übersieht der Autor die heute offenkundige Zerstörung des Planeten durch die amoralische Wissenschaft und die mit ihr befreite Technologie. Der Fortschritt hat seine Fesseln abgeworfen und ist jetzt unaufhaltsam. Pereat mundus. Zweimal wird nachlässig das Stichwort „Klimawandel” hingeworfen, aber das war’s dann schon, die Sache wird nicht behandelt.

Mit der Theorie des kommunikativen Handelns hat Jürgen Habermas vor Jahrzehnten einer ganzen Generation (auch mir) einen uns prägenden Weg des Denkens gewiesen. Umso enttäuschender ist die Weigerung des Autors heute, etwas anderes wahrzunehmen als liebgewonnene Grundsätze. Der von ihm gepriesene Fortschritt des Wissens hat die Erde nun in die Selbstzerstörung geführt. Und dazu von dem Groß-Philosophen kein Wort?

Nicht alle Denkmäler muss man stürzen. Manche fallen von allein um.

 

Fritz Glunk


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